Ein Tag im Jahre 2032

Freitag, 10. April 2032
06:00 Uhr
Der Wecker klingelt. Ich tippe auf den „Arbeitsfähig“-Knopf und sehe zu, dass ich aus dem Bett komme, bevor der Gewichtssensor den morgendlichen Störenfried nach drei Minuten wieder zum Einsatz animiert. Diese Firmenwecker sind schon etwas Feines. Man braucht sie nicht zu stellen, denn das Wecksignal wird, abhängig vom Arbeitsplan, direkt von der Firma gesendet. Mit den drei Tasten „Arbeitsfähig“ (große Taste), „Krank“ und „Frei“ (kleine Tasten) signalisiert man seinem Arbeitgeber schon beim Aufstehen, ob man für den heutigen Tag zur Verfügung steht. Beim Drücken der Taste „Krank“ wird sofort der Unternehmenseigene Vertrauensarzt verständigt, der dann im Laufe des Tages persönlich vorbeischauen wird.

06:10 Uhr
Mein Frühstück fällt spartanisch aus. Meine Wochenration an Marmelade habe ich bereits gestern verbraucht. Der automatische, vom Ministerium für gesunde Lebensweise gesteuerte Kühlschrank gibt mir nur eine Scheibe Vollkornbrot und etwas leichte Pflanzenmargarine aus. Ohne diesen Kühlschrank wäre ich wahrscheinlich schon hoffnungslos verfettet. Es ist schon beruhigend, wie viel dem Staat an meiner Gesundheit liegt.
06:20 Uhr
Ich bekomme ein Ticket wegen zu kurzer Zahnputzzeit. Seit die Chips in den Zahnbürsten die Putzweise, Putzdauer und den Zustand der Zähne direkt an das Ministerium für gesündere Lebensweise melden, ist die Zahngesundheit in Deutschland enorm gestiegen. Ich habe dummerweise gestern vergessen, die Zahnbürste zurück in die Ladestation zu stellen. Das rächt sich jetzt. Der Akku ist fast leer und ich muss die verdiente Strafe von 10,-Euro an das Ministerium zahlen. Glücklicherweise muss ich mich nicht selbst darum kümmern. Die Strafe wird automatisch direkt von meinem Lohn abgezogen.

Ich steige schnell unter die Dusche und bin schnell hellwach. Die erlaubten 24° Wassertemperatur machen es möglich. Ich genieße die vollen 7 Minuten erlaubter Duschzeit, bevor der Wasserzufluss durch die automatische Regulierung endet. Das Ministerium für Klima- und Umweltschutz hat, in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für gesündere Lebensweise, genau berechnet, dass das für die umweltschonendste und gesunde Körperhygiene die besten Werte sind.

06:30 Uhr
Ich schlüpfe schnell in die Einheitsarbeitskleidung. Da heute Freitag ist, schreibt das Arbeitsgesetz helle, freundliche Farben vor, um eine positive Einstimmung auf das bevorstehende Wochenende einzuleiten.

06:35 Uhr
Ich mache mich auf den Weg zur nächsten Haltestelle. Dabei achte ich darauf, immer die rechte Gehwegseite zu benutzen, um nicht die Heimkehrer von der Nachtschicht zu belästigen. Das Ministerium für die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen schreibt dieses Verhalten zwingend vor, damit es nicht zu Konflikten zwischen den erschöpften Heimkehrern und den ausgeschlafenen Arbeitern kommt, die sich gerade auf dem Weg zum Job befinden.

06:40 Uhr
Im Elektrobus höre ich die Tagesansprache des Ministers für ausgewogenes Arbeiten. Ich achte darauf, dass ich sorgfältig zuhöre und nicht spreche. Letzte Woche wollte ich einem Mitfahrenden einen alten Witz erzählen, den ich irgendwo auf einem alten Stück Papier gefunden habe. Diese Missachtung der Informationsgesetze kostete mich 25,-Euro.

07:00 Uhr
Mit den RFID-Chips in der neuen Arbeitskleidung entfällt das lästige Bedienen der Stechuhr vor Arbeitsbeginn. Seitdem an dieser Kleidung nur noch eine Tasche für die Personal-ID-Karte (PID) vorhanden ist, müssen wir auch nicht mehr durch den Durchseher gehen. Ja, unsere Sicherheit vor terroristischen Anarchisten am Arbeitsplatz ist gewährleistet.

07:10 Uhr
Ich trete meine Arbeit in meiner kleinen Kabine an. Mein Job ist es, in bestimmten Abständen immer wieder auf drei aufleuchtende Knöpfe zu drücken. Ich weiß zwar nicht, wozu das gut ist aber die Wissenschaftler des Ministeriums für Arbeitskraft haben ja in Forschungen bewiesen, dass ein Arbeiter wesentlich weniger Fehler macht, wenn er gar nicht weiß, woran er arbeitet und welche Fehler auftreten können. Fehler werden sowieso maschinell und computergesteuert behoben und dafür haben wir ja die Fachkräfte aus Asien.

09:30 Uhr
Frühstückspause. Ich hole mir ein Glas fettarmer Milch und ein zuckerfreies Maisbrot aus dem Kantinenautomaten. Seit in Studien festgestellt wurde, dass leichte und gesunde Nahrung die Produktivität erhöhen, legen unsere Kantinen viel Wert auf entsprechende Nahrungsversorgung.

09:45 Uhr
Zurück an die Arbeit.

13:00 Uhr
30 Minuten Mittagspause. Der Kantinenautomat gibt als heutiges Mittagessen Grünkernbratlinge mit Blumenkohl und einer fettfreien Kräutercreme-Sauce aus. Früher habe ich immer gern ein Hühnchen oder eine Frikadelle gegessen, aber seit der gesetzlichen Fleischzuteilung gibt es aus Gesundheitsgründen nur noch am Sonntag Fleisch zu essen.
Im Pausenraum sehe ich in den Nachrichten, dass schon wieder ein illegaler Rinderzuchtbetrieb ermittelt werden konnte. Wissen denn diese Kriminellen nicht, dass sie damit die Atmosphäre zerstören? Naja, die nächsten 10 Jahre dürfen sie im geschlossenen Vollzug darüber nachdenken.

14:45 Uhr
In der Nachbarkabine ist ein Mitarbeiter an einem Herzinfarkt gestorben. Dabei war er doch schon 75 und wäre in zwei Monaten in Rente gegangen. Er stammt eben noch aus der alten Generation, die ungesund lebte. Das rächt sich irgendwann.

16:00 Uhr
Feierabend. Heute ist Freitag, da muss ich glücklicherweise keine 10 Stunden arbeiten.

16:30 Uhr
Zurück in der Stadt. Mein Versuch, eine Schachtel Zigaretten zu kaufen scheitert. Meine PID meldet dem Tabakhändler, dass ich meine Monatsration von 25 Zigaretten bereits erhalten habe. Früher hätte ich jetzt eine Flasche Schnaps gekauft und sie auf dem Schwarzmarkt eingetauscht, aber nachdem die letzte Flasche, die ich eingetauscht habe, mir 3 Monate Haft gebracht hat, weil der Schwarzhändler sie an einen Jugendlichen weitergegeben hatte, verzichte ich auf solche Aktionen. Die RFID-Chips sind eben nicht immer nur von Vorteil.

17:15 Uhr
Wieder zu Hause. Ich werfe erst mal die Infobox an und rufe meine Tagespost ab. Heute werden nur 14 Nachrichten vom Ministerium für Sicherheit in der Informationstechnik zurückgehalten. Ob es sich dabei um Werbung handelt oder mal wieder so ein verrückter Menschenrechtler seine Rundmails verschickt hat, erfahre ich am Montag.

Dafür finde ich eine Zusammenfassung der Tickets, die ich diese Woche für diverse Fehlverhalten bekommen habe.
Montag: 15,-Euro, weil ich versehentlich den falschen Knopf am Wecker gedrückt habe.

Dienstag: 25,-Euro, weil ich beim Joggen im Park einen anderen Läufer überholt und dabei den Rasen betreten habe.

Mittwoch: 5,-Euro, weil ich geflucht habe.

Donnerstag: 89,-Euro, weil ich es gewagt habe, einige politische Entscheidungen kritisch zu betrachten und damit einen verbalen Konflikt mit zwei Nachbarn provozierte.

Und die 10,-Euro für die Zahnbürstengeschichte von heute Morgen sind auch schon dabei.

18:00 Uhr
Ich gehe noch ein wenig spazieren und beschließe, heute mal auswärts zu essen. Ich kenne da einen kleinen Imbiss, bei dem das Essen noch nicht aus dem Automaten kommt. Mit etwas Glück bekomme ich ja eine echte Currywurst auch außerhalb der Fleischzuteilung.

19:00 Uhr
Wieder zu Hause schalte ich den Fernseher ein. Wenn ich mir in den Nachrichten so anschaue, wie viel Dekadenz und Kriminalität es in anderen Ländern gibt, bin ich schon fast stolz auf unser System.

Jetzt schaue ich noch einen Klassiker auf dem zweiten Programm an: Terminator, mit Arnold Schwarzenegger, in der 65-Minuten-Langfassung. Der soll richtig brutal sein.
Danach lese ich noch ein bisschen im Buch „Dein Freund, der Staat“.

21:30 Uhr
In 15 Minuten schaltet das Licht sich automatisch ab und es wird Zeit fürs Bett. Zum Einschlafen nehme ich noch die staatlich verordnete Dosis Einschlafhilfe, denn wer länger schläft entwickelt keine Aggressionen, sagt das Ministerium für die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen.

21:45 Uhr
Ich gehe ins Bett. Am Wochenende fahre ich nach Berlin zur Ausstellung „Barbaren des 21. Jahrhunderts“, in der Berichte aus der sogenannten „freien Welt“ zeigen, wohin es führt, wenn der Staat den Bürger sich nicht vor sich selbst schützt.